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22 Sep 2021 von Ludwig Boltzmann

„Wenn Wunden nicht mehr heilen“

Mit der LBG-Forschungsgruppe SHoW, die im Oktober 2020 ihre Arbeit aufgenommen hat, arbeitet eine ganz einzigartige Kombination von ForscherInnen aus Natur- und Sozialwissenschaften daran, das Leben von Menschen mit chronischen Wunden nachhaltig zu verbessern.

Der Prozess der Themenfindung für die Forschungsgruppe war unkonventionell. Am Anfang stand eine Seminarreihe zu Bürgerbeteiligung und dem Wert von Erfahrungswissen in der Forschung. Die Geweberegenerationsforscherin und wissenschaftliche Projektmanagerin Veronika Hruschka nahm vor nunmehr fünf Jahren an dieser Seminarreihe teil und ist seitdem eine treibende Kraft im Aufbau der Forschungsgruppe. Am Sitz der SHoW-Gruppe im AUVA-Traumazentrum Wien, Standort Lorenz Böhler, treffen wir sie zum Interview.

 

Was verbirgt sich hinter SHoW?

SHoW, kurz für Senescence and Healing of Wounds, ist eine transdisziplinäre Gruppe, die sich mit Alterung und Wundheilung beschäftigt. Das Besondere daran ist, dass das Thema aus verschiedenen Blickwinkeln in Angriff genommen wird. SHoW beinhaltet eine biomedizinische Forschungsgruppe ebenso wie ein sozialwissenschaftliches Projekt und ein Co-Creation-Team. Darüber hinaus beschäftigen wir uns mit grundlegenden Fragen zu Wissenschaft an sich und ihren Wechselwirkungen mit dem sozialen und gesellschaftlichen Umfeld.

Wie ist der thematische Schwerpunkt entstanden?

Der thematische Rahmen für die SHoW-Gruppe wurde mit Hilfe eines Open-Innovation-Prozesses definiert. Im Rahmen von „Reden Sie mit!“, unter der Leitung von Ben Missbach, haben wir Menschen dazu aufgerufen, Fragen aus dem Bereich der Unfallverletzungen einzureichen. So konnten wir über Crowdsourcing Themenfelder identifizieren, in denen Handlungsbedarf besteht. In einer Abstimmungsrunde haben wir dann nach den wichtigsten Gebieten gefragt. Dabei wurden Alterung und Wundheilung am häufigsten genannt. Es gibt also in der Gesellschaft ein starkes Bedürfnis nach mehr Forschung in diesem Bereich.

Wie fühlt es sich an, einen so real existierenden Wunsch abzudecken?

Es ist ein super Gefühl, mitzuerleben, wie aus einer Idee so etwas Großes wird. Man spürt, dass es hier in der Gesellschaft ein Bedürfnis gibt, das bisher nicht angesprochen wurde. Ich bin gespannt, wie es weitergeht und was wir erreichen können.

Wie wird sich die Relevanz des Themas künftig entwickeln?

Wir merken, dass die Menschen bereits jetzt in diesem Bereich sehr großen Redebedarf haben. Viele sind selbst betroffen oder kennen jemanden in der Familie, der betroffen ist. Chronische Wunden kommen mit fortschreitendem Alter immer häufiger vor, besonders auch in Verbindung mit anderen Erkrankungen. Wir haben eine alternde Gesellschaft, deshalb wird sich diese Entwicklung auch in Zukunft fortsetzen und der Bedarf sich sogar noch steigern.

Was bedeutet Seneszenz, was ist das Problem daran?

Seneszenz beschreibt den Zustand einer Zelle, in dem der natürliche Zellzyklus angehalten ist. Die Zellen teilen sich nicht mehr und bleiben vor Ort. Bis zu einem gewissen Grad ist diese zelluläre Seneszenz etwas ganz Normales und gut für den Wundheilungsprozess. Das Problem entsteht, wenn diese Zellen nicht mehr vom Immunsystem entfernt werden und sich akkumulieren. Ein Ziel der biologischen Plattform ist es, die Zellen zu identifizieren, die seneszent werden, und sie im besten Fall auch zu beeinflussen, um einen verbesserten Wundheilungsprozess zu erzielen.

Welche Ziele verfolgt ihr im Co-Creation-Teil?

Dabei beziehen wir Stakeholder aus dem Bereich der Wundversorgung in unsere Arbeit ein. Das sind Patientinnen und Patienten, Ärztinnen und Ärzte, TherapeutInnen, das Pflegepersonal, aber auch Angehörige von PatientInnen – sie sind mit der Praxis der Wundversorgung bestens vertraut, stehen aber üblicherweise kaum in Kontakt mit der Forschung. Das wollen wir ändern.

Was sind die Herausforderungen, wenn man dieses Neuland betritt?

Anfangs kannten wir den Status quo nicht und wussten noch nicht, wo der Schuh drückt. Nun sind wir dabei, alle Stakeholder zu identifizieren und zu eruieren, wo Lücken bestehen, wo es Handlungsbedarf gibt. Danach geht es darum, diese Diagnose zusammen mit Stakeholdern zu validieren und Partnerschaften aufzubauen.

Wie könnten Betroffene von diesem Ansatz profitieren?

Wir sehen uns zum Beispiel an, was die Endpunkte einer Therapie sein könnten, ob das nur der Wundverschluss ist, oder ob es auch andere zentrale Faktoren gibt. Es geht auch darum, die Lebensqualität der PatientInnen zu verbessern. Vielleicht bleibt eine Wunde offen, aber wenn die Lebensqualität steigt, weil die Wunde nicht mehr streng riecht oder weniger schmerzt, ist das ein sehr wichtiger Fortschritt. Wir haben diesbezüglich als Teil unserer Forschungsgruppe ein sozialwissenschaftliches Projekt in Kooperation mit Professorin Barbara Prainsack von der Universität Wien.

Wie geht man derzeit mit chronischen Wunden um?

Derzeit gibt es keine einheitliche Herangehensweise. Je nachdem, wen das Thema betrifft, sind auch verschiedene Gruppen davon berührt. Wir wollen herausfinden, wer eingebunden ist, welche Prozesse dabei ablaufen und wie man stärker nach Behandlungsziel statt nach Behandlungsprozess steuern könnte.

Weiß man, wie viele Menschen an nicht heilenden Wunden leiden?

Nicht genau. Das Problem ist, dass Wunden oft als Teil oder Begleiterscheinung anderer Erkrankungen auftauchen und nicht wirklich mitprotokolliert werden. Natürlich wäre es gut, zu wissen, wie viele Menschen betroffen sind. Das ist ein Aspekt, dem wir uns zuwenden werden.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Forschungsgruppe?

Dass die Gruppe sich im Feld etabliert und über den Rahmen von vier Jahren hinaus weiterbesteht. Besonders wünschen würde ich mir, dass sich unser Konzept der Offenheit und interdisziplinären Zusammenarbeit in der Praxis beweist und von anderen Organisationen aufgegriffen wird.

Die Mitglieder der SHoW Gruppe:

Raffael Himmelsbach – Co-Direktor, Open-Innovation-in-Science-Manager
Heinz Redl – Co-Direktor, wissenschaftlicher Leiter
Veronika Hruschka – Projektmanagement, Co-Creation
Conny Schneider – Kommunikation, Co-Creation
Marie Niederleithinger – Koordinatorin, Co-Creation
Barbara Prainsack – PI Sozialwissenschaft
Deborah Drgac – Doktorandin Sozialwissenschaft
Mikolaj Ogrodnik – PI Biowissenschaft
Nadja Ring – Postdoc Biowissenschaft, Laborleitung
Razieh Khoshnevisan – Postdoc Biowissenschaft
Barbara Bachmann – Postdoc Biowissenschaft
Karla Valdivieso – Doktorandin Biowissenschaft
Helene Dworak – Doktorandin Biowissenschaft
Susanne Windwarder – Administration

Zur Webseite der Forschungsgruppe SHoW
a. Geweberegenerationsforscherin und wissenschaftliche Projektmanagerin Veronika Hruschka.