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07 Mrz 2024 von Ludwig Boltzmann

Weltfrauentag: Forschungslücken in der Gendermedizin schließen

Frauen sind in der medizinischen Forschung noch immer unterrepräsentiert und stoßen auf strukturelle Herausforderungen im Gesundheitswesen.

Die Forschung war früher zumeist männlich geprägt – auch heute ist die Medizin in vielen Bereichen noch zu wenig individualisiert. Das Ludwig Boltzmann Institut für Digital Health and Patient Safety (LBI DHPS) arbeitet daran, diese Forschungslücken zu schließen. Anlässlich des Weltfrauentags unterstreicht die Ludwig Boltzmann Gesellschaft (LBG) die Notwendigkeit für Maßnahmen in diesem Bereich.

Die Gendermedizin ist ein aufstrebendes Feld innerhalb der medizinischen Forschung, das die Unterschiede zwischen den Geschlechtern in Bezug auf Krankheitsprävention, Diagnose und Behandlung untersucht. „Während sich frühere Forschung hauptsächlich auf Männer konzentrierte, ändert sich das heutzutage im Feld der Gendermedizin – jedoch nur langsam“, so Institutsleiterin des LBI DHPS Dr. Maria Kletecka-Pulker. Beispielsweise werden Herz-Kreislauferkrankungen wie Herzinfarkte bei Frauen oft nicht rechtzeitig erkannt und behandelt, was zu schwerwiegenden Folgen wie Herzinsuffizienz oder sogar zum Tod führen kann. Auch ist heute bekannt, dass Medikamente bei Frauen zum Teil anders wirken oder in unterschiedlicher Dosierung verabreicht werden müssen.

Die Gendermedizin erforscht aber nicht nur anatomische Unterschiede und deren Auswirkungen. Das Ludwig Boltzmann Institut für Digital Health and Patient Safety untersucht den gesamten Behandlungsablauf und erforscht dabei genderspezifische Unterschiede.

Der erste Patient:innenkontakt: Telemedizin am Vormarsch

Das LBI DHPS beschäftigt sich unter anderem mit dem Thema Telemedizin. In Österreich geben vor allem Dolmetscher:innen Menschen mit anderen Muttersprachen bei Behandlungen eine Stimme. Das vom Institut entwickelte Projekt „Barrierefreie Kommunikation im Gesundheitswesen“ für Video-Dolmetsching ermöglicht überwiegend Frauen rasche, ortsungebundene Diagnosen ohne Übersetzungsfehler. Ein Durchbruch in der Telemedizin, der Dolmetscher:innen zu einer der ersten Berufsgruppe im medizinischen Bereich machte, die während der COVID19-Pandemie transformiert und digitalisiert wurden.

Aber auch hier gibt es Aufholbedarf. Zwar wird der Großteil der Gesundheitsberufe von Frauen ausgeführt – in der Erforschung ist die Technologie der Telemedizin jedoch mehrheitlich männlich besetzt. „Deshalb ist es wichtig, dass in diesen Bereichen Leute forschen, die den Faktor Mensch und den Genderaspekt in der Anwendung dieser Technik immer mitdenken“, so Maria Kletecka-Pulker.

Behandlungsfehler sind meist weiblich

Die Medizin ist in vielen Bereichen noch zu wenig individualisiert und das führt zu Problemen: „Erste Untersuchungen haben gezeigt, dass es vorwiegend Frauen sind, die sich wegen vermeintlicher Behandlungsfehler bei der Patient:innenanwaltschaft oder bei Schlichtungsstellen beschweren“, erklärt die Institutsleiterin. „Dabei ist auf den ersten Blick nicht ersichtlich, woher dieser große Unterschied kommt. Daran arbeiten wir gerade, um der Sache auf den Grund zu gehen.“

Da es kein zentrales Register für Behandlungsfehler gibt, bedarf es hier einer Zusammenschau mehrerer Fakten und Zahlen. Auffällig in bisherigen Studien ist, dass sich bei den Anfragen bei Pflege- und Patient:innenanwaltschaften ein geschlechtsspezifscher Unterschied zeigt. Das LBI DHPS hat nun begonnen, möglichst viele und aussagekräftige Zahlen zu erheben. Allein in Wien waren 2016 rund 60 Prozent Melderinnen. Dies kann auf verschiedenen Ursachen beruhen: mögliche Erklärungen liegen in einer höheren Betroffenheit von Behandlungsfehlern oder können Ursachen in der Sozialisation als Frau haben.

Auch die Pflege wird im Ludwig Boltzmann Institut unter die Lupe genommen, denn blinde Flecken im Gesundheitsbereich betreffen Frauen auch in diesen Berufsgruppen. Die Doppelbelastungen von Familie und Arbeit kann zu Behandlungsfehlern führen. Am LBI DHPS versuchen Forscher:innen herauszufinden, wo welche Fehler passieren und wieso: „Wir suchen nie Schuldige. Unser Anspruch ist es, die Sicherheit von Patient:innen zu gewährleisten. Das funktioniert aber nur, wenn auch die Mitarbeiter:innen sicher arbeiten können und die entsprechenden organisatorischen aber auch rechtlichen Rahmenbedingungen gegeben sind. Daher appellieren wir auch für mehr Supervision in Gesundheitsberufen“, so Maria Kletecka-Pulker.

Patientensicherheit ist (auch) Frauensache

Die Verwehrung des Rechts auf Selbstbestimmung in der Medizin trifft ebenfalls überdurchschnittlich oft Frauen. Durch die höhere durchschnittliche Lebenserwartung leben in Pflegeheimen mehrheitlich weibliche Klientinnen. Mangels rechtlicher Vorsorge kommt es regelmäßig zum Transfer ins Krankenhaus, obwohl Patient:innen das nicht immer wollen. Betroffene werden in Entscheidungen meist nicht genügend miteinbezogen. Auch hier gibt es massiven Aufholbedarf. „Warum wir im Jahr 2024 in bestimmten Situationen immer noch Menschen transferieren und nicht ihre Daten, ist nicht nachvollziehbar“, so die Institutsleiterin abschließend.

a. Dr. Maria Kletecka-Pulker ist Scientific Host Director am Ludwig Boltzmann Institut für Digital Health and Patient Safety.