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29 Mar 2021 by Ludwig Boltzmann

PATIO – Der selbstbestimmte Patient

Inkontinenz und Potenzprobleme sind mögliche Begleiterscheinungen einer Prostatakrebserkrankung. Darüber sprechen wollen die wenigsten, schon gar nicht in der Öffentlichkeit. Dabei gehört Prostatakrebs zu den häufigsten Krebserkrankungen bei Männern und betrifft nicht nur Männer jenseits der 60.

Nach einer Krebsdiagnose steht die medizinische Behandlung im Vordergrund. Alltag, Bedürfnisse und Umfeld jenseits des Krankheitsgeschehens werden meist nicht beachtet.

In Zusammenarbeit mit der Selbsthilfegruppe Prostatakrebs und der ÖAW beleuchtet das LBI for Applied Diagnostics mit dem Projekt PATIO – Patient Involvement in Oncology jetzt diese Blindstellen der Forschung. Gemeinsam mit zehn Betroffenen, den sogenannten Co-Forschenden, wollen die WissenschaftlerInnen eine Informations- und Unterstützungsplattform entwickeln, die eine direkte Verbindung zur zielgerichteten Forschung schaffen soll. Für Institutsleiter und Radiopharmazeut Markus Mitterhauser ist das Projekt die logische Fortsetzung seiner Forschungsarbeit: „Wir haben das Institut gegründet, um zur personalisierten Diagnose zu forschen. Mithilfe von Biomarkern ist es uns gelungen, eine Grundlage für eine individuelle Therapieauswahl zu schaffen.“ Mit dem Projekt PATIO würden sie nun einen Schritt weitergehen. Denn „obwohl wir von personalisierter Medizin sprechen, sahen wir nie den Menschen mit seinen individuellen Bedürfnissen, Ängsten und Wünschen. Bei PATIO steht der Mensch gesamtheitlich im Vordergrund, hier entsteht quasi eine personalisierte Medizin 2.0.“

Die Forschungsgruppe will von den Betroffenen lernen. Denn deren Erfahrungen und Strategien im Umgang mit der Erkrankung sind nicht nur für andere Betroffene interessant, sondern auch für die WissenschaftlerInnen. „Wir schauen gemeinsam mit den betroffenen Personen auf die Herausforderungen des Lebens mit Prostatakrebs. Ihre gelebte Erfahrung paaren wir mit unserer akademischen“, erzählt Biochemikerin Marie Niederleithinger. Das Ergebnis sei nicht vorhersehbar und gerade das mache den Ansatz von „Open Innovation in Science“ so spannend. Dabei wollen die WissenschaftlerInnen nicht hauptsächlich mehr Bewusstsein für die Erkrankung, sondern für die Bedürfnisse der Patienten schaffen.

Denn wer erzählt einem, dass es sinnvoll ist, nach der Chemotherapie Eiswürfel zu lutschen und barfuß im Schnee zu spazieren?

– Markus Mitterhauser, Leiter des LBI Applied Diagnostics

Gemeinsam mit den Betroffenen entwickelten die WissenschaftlerInnen einen Fragebogen, um auch andere Menschen mit Prostatakrebs in den Forschungsprozess einzubinden und danach zu entscheiden, welches Kommunikationswerkzeug für die Betroffenen sinnvoll sein könnte. „Am Anfang von PATIO schwebte uns ein Chatbot, also ein textbasierter Sprachroboter, vor“, sagt Mitterhauser. Aber bei einem Durchschnittsalter von 74 stelle sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit eines solchen Werkzeuges. So verschieden die möglichen Lösungen sein können, so divers stellt sich auch die Gruppe der Co-Forschenden dar. Neben neun Männern unterschiedlichsten Alters und Krankheitsausprägung, ergänzt die Gruppe auch eine Frau, die ihren Mann durch die Krankheit verloren hat. Noch stecken die WissenschaftlerInnen mitten in der Forschungsarbeit zu PATIO, trotzdem gibt es schon ein Nachfolgeprojekt. Dann wollen sich Mitterhauser und sein Team mit den versteckten Kosten nach einer Prostatakrebsdiagnose beschäftigen.

a. Dompfarrer von St. Stephan und Seelsorger Toni Faber engagiert sich bei PATIO.
b. Der Schauspieler und Entertainer Alfons Haider unterstützt PATIO.
c. Talkmasterin und Journalistin Dr. Vera Russwurm ist selbst Medizinerin.
d. Das Projektteam von PATIO.