NS-Forschungsprojekt: Kontaminiertes Erbe?
Die Bundesimmobiliengesellschaft lässt ihre Liegenschaften zeitgeschichtlich aufarbeiten und startet Pilotprojekt mit Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgenforschung
Historisch belastete Orte und Landschaften sind ein wichtiger, aber in der öffentlichen Wahrnehmung oft vernachlässigter Teil der Gewaltgeschichte des NS-Regimes. Während zentrale Orte des Verbrechens wie das Konzentrationslager Mauthausen zurecht Teil des öffentlichen Gedenkens und der Vermittlungsarbeit sind, bestehen immer noch große Forschungslücken im Zusammenhang mit Liegenschaften, die vom NS-Regime als Amtsgebäude genutzt wurden und die sich heute zu einem Teil auch im Immobilienportfolio der ARE Austrian Real Estate, einer Konzerntochter der Bundesimmobiliengesellschaft, befinden.
Das Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgenforschung wird mit dem Projekt “Kontaminiertes Erbe?” einen Beitrag zur Schließung dieser Lücken leisten. Hans-Peter Weiss, CEO der BIG: “Als BIG übernehmen wir umfassende Verantwortung für unsere Häuser. Das betrifft selbstverständlich bauliche Aspekte wie die gezielte Modernisierung und Dekarbonisierung unserer Bestandsgebäude. Gleichzeitig haben wir auch die große gesellschaftliche Verpflichtung, uns mit der Geschichte unserer Häuser auseinanderzusetzen. Das aktuelle Forschungsprojekt ist ein weiterer wichtiger Schritt, diese Verantwortung wahrnehmen.”
Zur Auswahl des richtigen Forschungspartners wurde ein geladener Wettbewerb unter dem Vorsitz von Danielle Spera für ein Pilotprojekt ausgelobt. Spera über die Entscheidung der Jury: “Das Konzept des Ludwig Boltzmann Instituts für Kriegsfolgenforschung überzeugte die Jury, weil die Themen Vermittlung, Gedenken und Erinnern einen großen Stellenwert einnehmen, ebenfalls überzeugten die pragmatische Herangehensweise und die Erfahrung bei der Zusammenarbeit mit Unternehmenspartnern sowie die Aufarbeitung der Forschungsergebnisse mittels Datenbank und einer georeferenzierten Landkarte.”
Barbara Stelzl-Marx leitet das Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgenforschung und das Pilotprojekt: “Die Spuren des nationalsozialistischen Terrorregimes sind heute in vielen Fällen auf den ersten Blick unsichtbar, doch nichtsdestotrotz vorhanden, eingebrannt gerade auch in Gebäude. Mit diesem Projekt wird ein wichtiger Schritt zur Auseinandersetzung mit diesem kontaminierten Erbe und somit wider das Vergessen gesetzt. Ich freue mich, mit meinem Team am BIK die Forschungen für die BIG durchführen zu können.”
Am Beginn des Projekts steht eine Pilotstudie, die ein noch genau zu bestimmendes, kleineres Sample an Liegenschaften betrachtet und untersucht, welche verbrecherischen Taten dort zwischen 1938-45 möglicherweise stattgefunden haben. Auf Basis einer vertiefenden Recherche zu diesen Gebäuden wird ein Kriterienkatalog zur Bewertung einer größeren Anzahl an Liegenschaften entwickelt. Gleichzeitig wird in der Pilotstudie die Vorgehensweise erprobt, wie NS-zeitlich belastete Objekte innerhalb des umfangreichen Immobilienportfolios der BIG identifiziert werden können.
Jedenfalls untersucht wird die Geschichte des Ensembles in der Grazer Paulustorgasse, in dem heute unter anderem Dienststellen der Landespolizeidirektion Steiermark untergebracht sind und in dem die Gestapo ihren Sitz und ein Gefangenenhaus hatte. Ebenso das Schloss Altkettenhof in Wien-Schwechat, das nach dem “Anschluss” als “Reichsschulungsburg” und im Zweiten Weltkrieg als Lazarett diente. Heute befinden sich in dem Gebäude das Bezirksgericht und das Justizbildungszentrum Schwechat.
Das Pilotprojekt ist für ein Jahr anberaumt, im Gedenkjahr 2025 sollen die ersten Ergebnisse vorliegen. Geplant ist, dass das Forschungsprojekt sukzessive auf weitere Liegenschaften ausgerollt wird.
Eckdaten
Titel des Projekts: Kontaminiertes Erbe? NS-zeitlich belastete Liegenschaften der Bundesimmobiliengesellschaft
Forschungsinstitut: Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgenforschung
Auftraggeber: Bundesimmobiliengesellschaft
Geplante Dauer des Pilotprojekts: 12 Monate
Wettbewerbsjury:
Elizabeth Anthony, United States Holocaust Memorial Museum
Awi Blumenfeld, Historiker
Barbara Glück, Leiterin Mauthausen Memorial
Peter Höflechner, ehemaliger BIG Mitarbeiter, Immobiliensachverständiger
Edward van Voolen, Kunsthistoriker und Rabbiner, Amsterdam / Göttingen
Danielle Spera, Juryvorsitzende und Projektbegleitung Wettbewerb (kein Stimmrecht)