“Lebensborn”-Entbindungsheim in Niederösterreich: Ein Aufruf an Zeitzeuginnen und Zeitzeugen
Die nationalsozialistische Rassenpolitik umfasste neben der Vernichtung „unwerten“ Lebens auch die Förderung „erbgesunden“ Nachwuchses. Eine zentrale Rolle hatten dabei die Entbindungsheime des SS-Vereins „Lebensborn“, mit dem Ziel, die Geburtenziffer „arischer“ Kinder zu erhöhen. Das größte „Lebensborn“-Entbindungsheim war das „Heim Wienerwald“ im niederösterreichischen Feichtenbach. Rund 1.300 Kinder kamen hier bis 1945 auf die Welt. Über die Mütter und Kinder ist bis heute relativ wenig bekannt. Man geht aber davon aus, dass die Frauen und Kinder nicht nur aus dem Gebiet des heutigen Österreich stammten, sondern viele aus Gebieten des heutigen Deutschland, aus den Niederlanden, Belgien und Norwegen kamen und dorthin zurückkehrten. Auch die Geschichte des Heimes selbst ist bis heute nahezu unbearbeitet. Daher widmet sich das Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgenforschung in Graz in einem aktuellen Forschungsprojekt der Geschichte des „Heimes Wienerwald“. Das Projekt wird vom Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank und dem Land Niederösterreich gefördert. Leiterin des Projektes ist Prof. Dr. Barbara Stelzl-Marx, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Projektkoordinator ist Dr. Lukas Schretter.
Neben der Geschichte des Ortes und dem Umgang damit nach dem Krieg, möchten die ForscherInnen mehr über die Sozialstruktur der Mütter, die biografischen Hintergründe der Väter, das Personal, den Alltag im Heim und vor allem über die Kinder und ihre weiteren Lebensläufe herausfinden. Dafür sucht das Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgenforschung Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die über die Geschichte des „Heimes Wienerwald“ zwischen 1938 und 1945 Auskunft geben können. Es werden zudem Männer und Frauen gesucht, die selbst im „Lebensborn“-Heim „Wienerwald“ geboren wurden und ihre Lebensgeschichten erzählen wollen. Außerdem ist das Institut an Fotografien, Objekten und Dokumenten interessiert, die mit der Geschichte des Heimes in Feichtenbach in Verbindung stehen. Es wird um Kontaktaufnahme telefonisch über +43 (0) 316 380 8272 oder elektronisch per Email an yhxnf.fpuerggre@ovx.np.ng gebeten.
NS-Rassenideologie: Geburten „arischer“ Kinder erhöhen
Um die Zahl der Geburten von Kindern „arischer“ Herkunft zu erhöhen, unterhielt der 1935 gegründete SS-Verein „Lebensborn“ zwischen 1936 und 1945 neun Entbindungsheime auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands, 15 weitere wurden in Österreich, Luxemburg, Belgien, Frankreich und Norwegen betrieben. Schätzungen zufolge kamen in den „Lebensborn“-Entbindungsheimen tausende Kinder zur Welt. Anonyme Entbindungen unverheirateter Frauen, die nach den Kriterien der NS-Rassenideologie als „erbbiologisch wertvoll“ galten, wurden hier ermöglicht, wie auch Adoptionen abgewickelt. Es wurden aber auch Kinder verheirateter Paare in den „Lebensborn“-Heimen geboren. Zudem war der Verein „Lebensborn“ ab 1943 in die „Eindeutschungsaktion“ hunderter Kinder, insbesondere aus dem heutigen Polen, eingebunden. Gerüchte, SS-Männer und vorzugsweise blonde, blauäugige Frauen des Bund Deutscher Mädel seien in den Heimen zum Zwecke der Zeugung „zusammengeführt“ worden, sind historisch nicht haltbar.
Die „Lebensborn“-Kinder waren nach 1945 mit den Folgen ihrer Herkunft konfrontiert: Im Erwachsenenalter bemühten sich viele, mehr über die Umstände ihrer Zeugung, Geburt und ihrer ersten Lebensjahre zu erfahren.
Das NS-Entbindungsheim „Wienerwald“
Das ehemalige „Heim Wienerwald“ ist heute eine Ruine. Im Jahr 1904 als Lungenheilanstalt „Sanatorium Wienerwald“ von zwei jüdischen Ärzten errichtet, befand sich im Gebäudekomplex nach der „Arisierung“ im Jahr 1938 das „Lebensborn“-Entbindungsheim. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Gebäudekomplex erweitert und als Kindererholungsheim des Wiener Jugendhilfswerks, Urlauberheim des Österreichischen Gewerkschaftsbundes, Rehabilitationszentrum der Wiener Gebietskrankenkasse und Hotelanlage genutzt.
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