Ein tapferes Herz für Gesundheitsinformatik
Rada Hussein, seit 2019 Principal Investigator am Ludwig Boltzmann Institut für Digitale Gesundheit und Prävention, ist in Ägypten aufgewachsen. In europäischen und internationalen Initiativen gestaltet sie inzwischen Gesundheitsinformatik für die ganze Welt, stellt Bürger:innen mit ihren Daten ins Zentrum und nennt fachliche Seitenblicke ein Erfolgsrezept.
Rada Hussein, Principal Investigator am Ludwig Boltzmann Institut für Digitale Gesundheit und Prävention bringt das Gesundheitswesen mit Initiativen wie „Integrating the Healthcare Enterprise“ und dem „European Health Data Space“ voran. Ihr Weg zu medizinischem Fortschritt führt nicht über neue Therapien, sondern über die Definition und Harmonisierung von Datenstandards und -protokollen. Erst durch Frameworks und Interoperabilität können medizinische Daten Nutzen für Patient:innen, Public Health und Unternehmen entfalten. Immer wieder hat die gebürtige Ägypterin Projekte in Ländern betreut, die technisch, finanziell und kulturell anders aufgestellt sind, als Österreich und Deutschland. Heute wirkt die Gesundheitsinformatikerin in den Arbeitsgruppen von WHO-ITU und Health Level 7 an der globalen digitalen Gesundheitsinfrastruktur und Gesundheitsdaten mit. Sie outet sich als Fan strenger europäischer Vorschriften: „Ich liebe die Datenschutz-Grundverordnung und den AI-Act. Ich weiß, dass uns die US-Vertreter:innen sehen uns als Vorreiter bei der Regulierung des Gesundheitswesens.“
Auf ihren Berufswunsch legte sie sich bereits mit 13 Jahren fest. Er kannte zwar noch keinen Namen, wohl aber ein Vorbild: Marie Curie. „Diese wunderbare Frau hat es möglich gemacht, dass wir Organe und die Anatomie auf Bildschirmen sehen können. Ich habe eine TV-Doku über sie gesehen, in der auch Modalitäten wie MRT und CT-Scan vorgestellt wurden.“ Ihr Vater traf seine Tochter mit offenem Mund und aufgerissenen Augen vor dem Fernseher an: „Er fragte mich, ob ich Ärztin werden wolle. Aber ich wollte an der Maschine arbeiten.“ Sie begann in Kairo mit dem Studium biomedizinische Technik, das Physik, Bildgebung und Bildanalyse miteinander verband, Hardware und Software verknüpfte. „Ich arbeitete mit den Modalitäten, der Maschine und gleichzeitig mit den Bildern.“
Die Forscherin nutzt die Gelegenheit über mehrere Menschen zu sprechen, die ihre Karriere unterstützt haben. Nicht die, die einer Frau mit Hijab nicht viel zutrauten. Ihren Doktorvater Hans-Peter Meinzer von der Universität Heidelberg nennt sie nicht nur Mentor, sondern einen „zweiten Vater“. Als sie sich auf die Doktorandenstelle für medizinische Bildgebung in seiner Abteilung bewarb, lud er sie ein: „Als ich sein Büro zum ersten Mal betrat, kam er hinter mir zur Tür herein und sprach mich an: Bist du Rada? Und ich sagte: Ja, sehr erfreut Sie kennenzulernen. Unmittelbar danach schickte er mich zur Anmeldung, noch bevor ich meine Präsentation gehalten hatte.“ Viele Jahre später fragte sie den unkonventionellen Professor, warum er sie nach dem ersten Hallo ausgewählt hatte. Er sagte: „Ich habe in deinen Augen gesehen, dass du es schaffen wirst. Du wirst deinen Doktortitel bekommen und mich dazu bringen, an dir zu arbeiten.“ Und so war es auch. „Er nahm mich überallhin mit, wir sprachen über alles, nicht nur Technik, sondern auch Kultur, Persönliches und wie man erfolgreich ist. Er sagte immer: Deutschland baut nicht nur Autos – auch du wirst ‚Made in Germany‘ sein.“ Meinzer hatte die Gewohnheit, seinen Studierenden eigene Namen zu geben. Rada war für ihn „Braveheart“. Mit ihrer Doktorarbeit schlug die Informatikerin eine Brücke zwischen den durch Datenstandards getrennte Welten von Bildgebung und Textdaten, um sie zu elektronischen Gesundheitsakten zu verknüpfen.
2019 wechselte die Gründerin und ehemalige Direktorin des Biomedical Informatics Center of Excellence in Kairo an das Ludwig Boltzmann Institut für Digitale Gesundheit und Prävention in Salzburg. Nach und nach richtete sie ihre Programmlinien auf den europäischen Gesundheitsdatenraum aus. Die Forschungsgruppenleiterin über die Boltzmann-Institute: „Wir arbeiten hier in langfristig finanzierten Forschungsprogammen, statt mit Projektfinanzierungen. Die Kluft zwischen akademischer Welt und Industrie kann so besonders gut überbrückt werden. Weil wir mit dem politischen Rahmen vertraut sind, können Innovationen rasch und reibungslos umgesetzt werden.“ Die Ludwig Boltzmann Gesellschaft schreibt sich „Wissenschaft für die Gesellschaft“ auf die Fahnen. Rada Hussein legt u.a. einen Fokus auf Patient:innen-Rechten und Data Governance: „Technologie und Technik sind das Ökosystem, aber wir müssen ihnen vertrauen. Wir arbeiten Hand in Hand mit Patient:innen für die Demokratisierung von Gesundheitsdaten. Bürger und Bürgerinnen müssen wissen, wie sie Vorteile aus deren Verarbeitung ziehen und ihre Daten kontrollieren können. Wir müssen unsere Rechte kennen. Wenn Unternehmen z.B. Daten aus Gesundheits-Apps und Fitnesstrackern nutzen und Geld verdienen, sollte ein Teil der Einnahmen und Anerkennung an die Datenquellen zurückfließen.“
Während ihrer Zeit als Direktorin in Kairo lernte sie Jürgen Gausemeier von der Universität Paderborn kennen. „Vielleicht bin ich wirklich in Deutschland gemacht“, scherzt Rada Hussein. Mit dem Industrieberater sprach sie über ihr Bestreben das komplexe Ökosystem zu vereinfachen und er machte sie mit Ansätzen aus dem strategischen Management und Techniken für die Entwicklung von Zukunftsszenarien vertraut – und wie man sie für Innovationsmanagement nutzt. „Das hatte ich vermisst! Technologie allein reicht einfach nicht aus. Man braucht effiziente strategische Managementwerkzeuge.“ In den letzten 15 Jahren hat Rada Hussein Toolkits und Frameworks genutzt, heute gestaltet sie diese für die WHO weltweiten „Initiative for global Health“ mit : „Ein Teil davon zu sein, macht mich glücklich. Unsere Arbeit am LBI ermöglicht mir, die Lehren daraus auf die internationale Infrastruktur zu übertragen.“
Globale digitale Gesundheit umfasst selbstverständlich viele Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen (Low and Middle Income Countries). Rada Hussein setzt sich dafür ein auch deren Know-how in mobile health für umgekehrte Innovation einzusetzen: „Ich baue ein Ökosystem auf, rede mit allen und träume vom Aufbau eines Netzwerks von Netzwerken für sinnvollen KI-Einsatz“. Was ist ihr Rezept für die Zusammanarbeit in unterschiedlichen kulturellen Kontexten? Die Leiterin des Arbeitspakets für Integration und Standards im Gesundheitswesen im Rahmen von EU-Projekten nennt zentrale Zutaten wie Interdisziplinarität, Kooperation, Kommunikation und die vorhandenen Informationen in angemessenem Umfang einzubeziehen. Man muss das Rad nicht immer neu erfinden: „Wir brauchen nicht nur eine Technologielösung, sondern ein Rahmenwerk wie man eine Verordnung umsetzt und welche Technologie passt. Hier funktioniert ein Top-Down-Ansatz besser.“ Und wie bringt sie die Menschen zusammen? „I keep pushing for the idea!“
Wenn sie nicht gerade anschiebt, um Ideen weiterzubringen, reist sie auch privat sehr gerne. Neue Länder und Kulturen erforscht sie dabei stets mit allen Sinnen. Sie geht zu Fuß durch die Altstadt, liest die dortige Literatur, isst lokale Spezialitäten und besorgt traditionelle Souvenirs. Um zu entspannen schaut sie gerne Dramaserien, geht ins Kino und spielt Sudoku.
Was möchte Rada Hussein jungen Frauen am Beginn der Karriere mitgeben? „Glaubt an euch selbst und eure Fähigkeiten, arbeitet hart und seid offen für Learnings aus verschiedenen Disziplinen“. Nur manchmal sieht sie heute noch Zweifel in den Augen, vor allem wenn Männer ein Team dominieren, wie es in der Technik oft der Fall ist: „Wenn man hart arbeitet vergessen sie nach einer Weile, dass man eine Frau ist.“